1986

17.1.86

Ab 45 aufwärts

Rudolf Hoffmann, Eng Philipp

Performance

Eigentlich eine Art Nachkriegsrevue mit der für Hoffmann typischen Playback-Handlung auf vorgefertigter Musikbasis, die den Rhythmus des Geschehens vorgibt. Opulent wie immer ausgestattet mit leichtem Hang zum Theatralischen. Das (plakative) Geschehen: Bombengeheul verebbt. Umarmung im Trümmerhaufen: „Gottseidank, wir haben überlebt.“ Wiederaufbau (Philipp und Hoffmann ordnen die herumliegenden Ziegelsteine) mit der gräulichen Adenauer-Rede zum Besuch der Queen im Kölner Dom. Wirtschaftswunder mit Coca-Cola zu Nierentischchen und Messingleuchter. „Auf den Regen scheint die Sonne...“ Deutscher Swing mit Jodeln wird abgelöst von Rock’n Roll und Demo. „Haut se, haut ‘se auf die Schnautze!“ „Ho, Ho, Ho, Ho-Tschi-Minh!“ „Vietnam“ wird unter Leninkappe aufs Bettuchplakat gepinselt, Langhaar-Rudi und Hippiemädchen Eng rauchen einen Joint, in den Achtzigern werden die Drogen härter, und schon sind wir bei der Götterdämmerung und dem gegenseitigen Shoot-Out. Na dann Prost!

31.1.86

Wintersongs

Frank H. Rothkamm

Performance

Frank H. Rothkamm, seines Zeichens Musiker und zu jener Zeit Zivildienstleistender in den Universitätskliniken, schaffte in seinen Performanceprojekten eine interessante Verbindung zwischen Live-Musik (Gesang, Klavier, Geige), computergesteuerten Synthi-Klängen und gesampelten Punkzitaten. Dazu unterschiedliche Materialaktionen mit gut choreografierten Bewegungselementen. Momente ruhiger harmonischer Sounds wechselten mit aggressiven, monotonen, rhythmischen Elementen. In den „Wintersongs“ trat Rothkamm in braunem Anzug, schwarzem Hemd, weißen Schuhen und Krawatte auf, wechselte bald in Punkkleidung, spektakulär sein Kopfstand im Wassereimer, Haarwäsche mit Bier, Feuerelemente, die Zertrümmerung einer Kölschflasche und und und... „He’s got to hell!“ Zum Schluss steigt er aufs Klavier und schreibt unter den dissonanten Tritten auf der Tastatur dreimal „GOD“ aufs Klinikbettuch... He’s got to hell?

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21.2.86

Oberhalb der Schmerzgrenze

Jürgen Raap

Musikperformance

Basis des Acts ist das Lied „La Paloma“ (von Frank H. Rothkamm musikalisch aufbereitet und durch Raap selbst gesungen). Jürgen Raap versteht seine Performance als „Huldigung“ an seinen Onkel, der zur See gefahren war undzum Vorbild während der Jugend des Künstlers wurde. Nach einer nuancierten Partitur hat der Künstler seine Performance in elf Einheiten gegliedert, deren Ablauf im Kern von den Strophen des Liedes gesteuert sind. Im Einzelnen: Raap sitzt auf einem Stuhl, während das Publikum bei Meeresrauschen und Rotlicht Platz nimmt. Er zieht Schuhe und Strümpfe aus, wirft sie in eine blaue, mit Wasser gefüllte Wanne vor sich, nimmt ein Fußbad, zieht sich wieder an, zerkrümelt Zwieback und Bierdeckel in das Wasser. Während dieser Aktionen Weißlicht und die Strophen von „La Paloma“ vom Band. Danach zerkaut Raap Zwieback, anschließend Bierdeckel, spuckt sie ins Wasser. Der Schluss, ein gesprochener Text zur Musik, ein Säulenaufbau aus Zwieback und Bierdeckeln, der mit dem Zusammenbruch ins Badewannenwasser endet.

15.3.86

11.000 Kilometer nach Osten

Rudolf Hoffmann, Frank H. Rothkamm, Aya Zolbrod

Performance

Eigenproduktion des Hauses. Womöglich ein Ergebnis der Beziehung zwischen der Japanokanadierin Aya Zolbrod und Frank H. Rothkamm, unter der Federführung unseres Lokalmatadors Rudolf Hoffmann. So ließe sich vielleicht das Erwärmen eines halben Liters Kölsch im Rahmen einer japanischen Teezeremonie erklären. Das vier mal vier Meter im Quadrat aufgebaute Plastikfolienbecken erwies sich jedenfalls als zu schwach, um die Milchwassermassen aus den blauen, von Zolbrod mit japanischen Begriffen beschrifteten Plastiksäcken aufzufangen. Wie konnte dies geschehen? War es der Eifer des Schwertkampfs zwischen Rudi und Frank? Oder lag es doch eher am jugendlichen Ungestüm Rothkamms, als ihm das Aufschlitzen der an der Wand installierten Säcke zu heftig geriet? Jedenfalls erweist sich der Hallenboden seitdem als leichte Hügellandschaft mit Wippeffekt.

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9.5. – 16.5.86

Liebe zu einem Tier

Mark Eins, David Vostell, Axel Brand

Malerei, Zeichnungen, Objekte, Videoinstallation, Filme

Die Einladung weist einen zusätzlichen Titel auf: „Von der Amöbe zum Tier, das sich selbst Mensch genannt“. Die Verbindung zum Film ging bei diesem Kunstprojekt auf die gemeinsame Zeit in Berlin mit verschiedenen Kurzfilmproduktionen zurück. Zur Vernissage gab es davon dann auch einiges zu sehen. Besonders bleibt mir die Installation auf dem dafür zum ersten Mal weiß gestrichenen Hallenboden in Erinnerung: kleine symmetrisch angeordnete Torfhaufen, die mit Bananen und Plastikspielzeug dekoriert waren. In dieser lockeren Art wurden die Wände entlang kleine gemalte Portraits auf den Boden gestellt. überhaupt waren Gesichter im Ausstellungsrahmen dominant – ob als Fotos, ob als Grafiken oder eben als Gemälde. Dazu dann die obligatorischen Videos der Anwesenden durch den „Spiritus Rector“ des Ereignisses, Axel Brand präsentiert.

13.6. –19.6.86

Chicane

Ingo Gräbner

Fotoskulpturen

Die Dame mit der Sonnenbrille ruht im Liegestuhl – als Foto. Bärtiger Vierkantschädel als Top eines rohen Holzblocks, auf der Brotschneidemaschine kreist das Messer mit geöffnetem Mund, ein Auge im Einmachglas löst sich langsam unter Wasser auf. Alles Fotos in Verbindung mit Alltagsgegenständen, denen sie sich in ihrer äußeren Form anpassen. Insofern wird der Blick des Betrachters wieder auf den Materialcharakter des Fotos gelenkt: einfach Blätter Papier. Die Fotoplastiken weisen folgerichtig ein mehr oder weniger starkes Spannungsverhältnis zwischen Materialität und Textcharakter auf. Die Ausstellung im Atelier hatte aufgrund ihres skulpturalen Charakters die Wirkung eines Environments, da sich die Fotos von der Wand lösten und mit völlig unterschiedlichen Trägerobjekten überall im Raum verteilten.

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19.6.86

Horrido im Korrido

Rudolf Hoffmann

Performance

Eine gigantische Katastrophe als Hintergrund dieser Performance: das Atomunglück von Tschernobyl. Der Korridor wird durch zwei konisch auf einander zu laufende Wände erzeugt. In der Mitte der Performer – fast die ganze Zeit unter einer Gasmaske agierend. Der Rahmen wirkt wie ein Fünfziger Jahre Wohnzimmer durch die entsprechende Blümchentapete an den Wänden und das ebenso deprimierende Mobiliar. Die sich anbahnende Katastrophe erhält nicht nur in den Aktionen, sondern auch in der Musik seine Entsprechung: drohende lang anhaltende Synthesizerklänge, die Hoffmann speziell für diese Performance komponiert hat. Mit Licht, Sound und martialischen Zerstörungsaktionen endet alles in dem erwarteten Chaos.

5.7. – 15.7.86

Installation I

Frank H. Rothkamm, Aya Zolbrod

Environment

Die persönliche Verbindung zwischen der Japanokanadierin Aya Zolbrod und Frank H. Rothkamm – beide lebten zusammen im Hinterhaus des Ateliers - fand mit diesem Projekt auch einen gemeinsamen künstlerischen Ausdruck. Aya Zolbrods Malerei ging mit den Videoinstallationen Rothkamms eine Synthese ein, die gerade von dem Gegensatz zwischen archaisch anmutenden schwarz gefärbten großen Steinen und den nüchternen grafisch strengen Computerbildern lebte. Die Graffittis als typisches gestalterisches Ausdrucksmittel der Punkgeneration durften natürlich nicht fehlen.

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18. – 25.7.86

Der Nächste wird mumifiziert.

Olaf Knechten

Installation

Wie verarbeitet man eine unglückliche Liebe? Künstler haben da so ihre speziellen Möglichkeiten... Olaf Knechten ließ es sich jedenfalls nicht nehmen einen fast schon sakral anmutenden Erinnerungsraum an seinen verflossenen Geliebten zu installieren. Hier ein Auszug aus dem Artikel von Jürgen Kisters im Kölner Stadtanzeiger vom 25.7.86: „Der Raum ist abgedunkelt, und es riecht nach Weihrauch. Eine in Mull gewickelte Mumie liegt auf Tannen gebettet. Davor ein Arrangement aus Kerzen und verschiedenen Utensilien, die in der Beziehung zu einer geliebten Person eine Rolle spielen – wie der Zettel mit einer Telefonnummer.“ Die zusammengetragenen Souvenirs erschlossen sich dem fremden Betrachter nur in seinen ganz subjektiven Assoziationen. Vielleicht bestand jedoch gerade in diesem mystischen Charakter der Installation der besondere Reiz des Projekts. Der Titel ließ allerdings Schlimmstes für den „Nächsten“ befürchten.

4.10. –12.10.86

6 in 42

Fuchs, Gräbner, Hoffmann, Mattes, Rothkamm, Zolbrod

Ausstellung

Wieder einmal lagen Ehrenfelder Kulturtage an, ein wahres „Großereignis“ in der Diaspora des Vorstadtviertels. Aber es zählen ja auch die einsamen Rufer in der Wüste, wenn es gilt, den Namen des Herrn zu preisen. Und im Namen der ach so freien Kunst, der brotlosen, war uns natürlich keine Anstrengung zu gering. Zumindest gab es zu diesem Anlass mal etwas mehr Publicity. Die Ausstellung war eher der bescheidenere Teil unserer Beiträge. Er beschränkte sich auf ausgewählte Arbeiten in den beiden vorderen Räumen, um die Halle für Performances offen zu halten. Malerei (Zolbrod, Hoffmann), Installation (Fuchs, Mattes, Rothkamm), Fotografie (Gräbner).

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7.10.86

Ismet, ißt du ein Schnittchen Mett mit?

Rudolf Hoffmann

Performance

Hoffmanns Ankündigung im offiziellen Einladungsheftchen zu den Kulturtagen: „Die 11 Bundesländer auf der Suche nach Mettmitessern! Vor dem Hintergrund der kontroversen Diskussionen über die Asyl- bzw. Ausländerproblematik zeige ich einen Weg des anhaltenden Streits auf.“ „Rudi, das kannst du nicht machen,“ war mein Kommentar, aber alle Warnungen wurden in den Wind geschlagen, und schon prangte ein schlimmes Foto mit Titel in unserem Schaufenster. Wie sagt der Kölsche dazu? „Et hät schon immer joot jejange!“ Also, wir als Exoten in einer kölsch-türkischen Straße wurden gar nicht wahrgenommen von der Nachbarschaft, zumindest nicht die Kunst. Und so blieb Hoffmanns Aufforderung ungehört. Natürlich bis auf ein eingeweihtes Publikum, das die brennenden Mettbrötchen vor dem Hintergrund der Nürnberger Rassengesetze richtig zu nehmen wußte.

10.10.86

Rock and Roll Mops

Dominique Grosjean, Jürgen Raap

Performance

Der offizielle Text im Infoheft: „Die beiden Akteure bringen in diese Performance ihre unterschiedliche künstlerische Herkunft ein (Theater, Chanson auf der einen, Aktionismus auf der anderen Seite) und verbinden ihre jeweiligen Ausdruckserfahrungen zu einer quasi-theatralischen Situation, die Elemente des Absurden, der Groteske und Parodien auf populäres Entertainment (Zirkus, Show) enthält. Durchgehendes Moment ist ein Chanson von Boris Vian, „Rock and Roll Mops“. Gesangliche Darbietung wird mit Rezitationen und konkreten Handlungen vermischt. Diese Handlungen sind insofern „situationistisch“, indem sie auf jegliche abstrakte Symbolik verzichten und dabei ein Spannungsfeld zwischen scheinbarer Bedeutsamkeit und offenkundiger Bedeutungslosigkeit aufbauen. Das Stimmungsmoment wird durch Anklänge an rheinischen Humor und wallonischen Mystizismus bestimmt; es hat dadurch inter-kulturellen Charakter.“

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12.10.86

Oil of Artists

Fuchs, Gräbner, Hoffmann, Rothkamm, Zolbrod

Atelierfest

Das ist der Stoff, aus dem die Träume sind! La Bohème und Lustgewinn als ehrliche Makler des Ateliers. Der eher harmlosen Diashow von Harald Fuchs zu Klängen von Rothkamm folgte eine schnelle Performance von Zolbrod mit Steinen, Feuer, Computersound und einem kurzen englischen Text. Titel: „Performance, three points“. Danach Rudis unvergessliche Eiernummer: Man nehme drei gekochte Eier, drehe sie auf einem Tisch schnell um die eigene Achse und schlage mit einem schweren Hammer auf sie ein. Ach ja, bitte schwarzen Anzug und Krawatte nicht vergessen! Wie zäh dagegen die Lautsprecherdirektübertragung meiner Telefonanrufe in alle Welt, um auf die überragende Bedeutung der Ehrenfelder Kulturtage hinzuweisen. „What do you mean?“

5.11.86

Feenix

Ingo Gräbner

Actionsculpture

Der Traum vom Fliegen... Berlinger, der Schneider von Ulm, Phönix, Feuervogel aus der ägyptischen Mythologie. als kulturelle Bezugspunkte dieses Projekts. Der Versuch zu fliegen. Der Schneider stürzt vom Münsterturm in die Donau, Phönix kommt der Sonne zu nah, verglüht und entsteht aus der Asche aufs Neue. Das Unmögliche wagen. Wieder und wieder... Die Visualisierung: unter dem Glasdach der Halle schwebt im Schwarzlicht eine weiße Bahn. Ein weißblauer Regen – überhaupt alles weißblau: der Raum, die große Kugel, die Kleidung. Ich verlasse mein luftiges Lager unter der Decke, baue im vorderen Raum zu den Klängen von Allan Parsons Projekt ein weißes Flugobjekt mit einer Flügelspannweite von sechs Metern, hänge es mit Hilfe von Zuschauern unter die Decke. „Feenix“.

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14.11.86

Gedankengänge

Ingo Gräbner

Environment

Auszüge aus einem Text von Jürgen Kisters, „Fäden der Erinnerung“, in der Textsammlung „Gedankenstrich“ (hrsg. von Joachim Rönneper): „Der Raum war überzogen mit Papierfetzen und kleinen Gegenständen. Sie zogen sich von oben nach unten, von links nach rechts, mitten hindurch. Sie hafteten an dünnen Fäden: Photographien, Reste von Landkarten, Zeitungsschnipsel, Bankauszüge, engbeschriebene Tagebuchseiten, leere Zigarettenschachteln, alte Prospekte, Postkarten... In der Fülle der ungezählten Dinge gerät der Zusammenhang aus dem Blick, ohne aber je verlorenzugehen. Es scheint, alles hängt mit allem zusammen, und dennoch ereignen Erinnerungen sich bruchstückhaft und flüchtig.“

21.11.86

Lebendiges Museum

Gräbner, Hoffmann, Rothkamm, Rau, Schwabe, u.a.

Theatralisches Environment

Die Uhr im Wartesaal zeigt halb zehn. Eine verspätete Emigrantin tritt ein, stellt ihren Koffer ab und setzt sich. Besucher und Emigranten sind aufgrund von Kleidung und Gepäck gut von einander zu unterscheiden. Die Reisenden drängeln ungeduldig vor der verschlossenen Tür zum nächsten Raum und fordern Einlass. Endlich öffnet der Zollbeamte sein Büro, verlangt Papiere, kontrolliert Gepäck, stempelt Ausweise, auch bei Besuchern, notfalls auch den Körper. Man richtet sich in der angrenzenden Halle häuslich ein, baut sich kleine Ecken von Privatheit, schwelgt in den Erinnerungen an eine bessere Zeit... Das Publikum kann sich frei bewegen zwischen den Orten des Geschehens, hautnah zu den Schauspielern. Eine stringente Handlung fehlt. Diverse Geschehen laufen parallel oder es gibt dominante Auftritte. Untermalt werden die Szenen durch Livemusik (Frank H. Rothkamm an Klavier und Synthesizer).

19.12.86

Merry Christmast

Ingo Gräbner, Rudolf Hoffmann

Performance

Langsam entwickeln sie sich zur Tradition, die schrägen Weihnachtsfeierlichkeiten in der Sömmering. Nach „Jesus intim“ und „Kein zurück mehr“ läuft dieses Mal alles auf eine Fressorgie hinaus? Der Einstieg ist erstmal ganz anders. Die Besucher tasten sich durch schwach erleuchtete Räume, die Sömmering als Gruselkabinett dekoriert. Schauerlich verzerrte Weihnachtsklänge jammern aus schwächlichen Boxen, vorbei am vertrockneten Weihnachtsbaum vom letzten Jahr (im Hof hatte ein Amselpärchen in ihm genistet) geht es über die matratzenkaschierte steile Treppe in die oberen Gefilde. „Naufi geht’s!“ feuert der Tiroler Bergführer die Besucher an. Der Abstieg als Rutschpartie. Nach diversen Showeinlagen endet alles in einer Verpackungsorgie.

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