1984

15.9. – 30.9.84

Die Gosse blüht!

Gräbner, Hoffmann, Jungherz, Mattes, Sick

Schlichter Versuch einer partiellen Stadtbegrünung

Acht Meter Straßenfront des Hauses Sömmeringstr. 42. Parkende Autos Richtung Vogelsanger Straße, rechte Fahrbahnseite, rechte Reifen auf dem Bürgersteig. Drei Platten à dreißig Zentimeter für Fußgänger. Andere Straßenseite dasselbe in grün. Ohne grün zu sein. Pflanzen haben 1984 keine Chance in der Sömmeringstraße. Wir machen einen ersten intimen Eingriff. Grenzen ein Beet aus Erde und Grassamen mit Dachlatten ab. Gießen. Warten. Erstes zartes Grün. Bald plattgewalzt durch Autos. Nach 14 Tagen wieder entfernt. Ein erster schlichter Versuch. Alles im Rahmen der Ehrenfelder Kulturtage. Heute? Bäume auf der linken Seite, rechts an einigen Häusern Kletterpflanzen – wilder Wein, Knöterich... Wir haben es nicht bewirkt, wir haben es vermisst.

15.9. – 28.9.84

Von 21 bis 36

Gräbner, Hoffmann, Jungherz, Mattes, Sick

Ausstellung

Das Atelier Sömmering hat von Anfang an als Produzentengalerie funktioniert. So war der Ort vielleicht nicht genau konzipiert, aber die Wirkung konnte bei der Kombination von zwei Malern und zwei Aktionisten kaum in eine andere Richtung gehen. Jungherz und Mattes waren eigentlich nur an bezahlbarem Atelierraum interessiert, öffentlichkeit wäre für sie in echten Galerien mit guten Verkaufschancen interessanter gewesen. Andererseits gab das Atelier die Möglichkeit, eigene Arbeitsergebnisse einem begrenzten Publikum vorzustellen. Gräbner und Hoffmann sahen sich eher als Vertreter freier Kreativität ohne expliziten professionellen Anspruch. Dies Spannungsverhältnis zwischen zwei unterschiedlichen künstlerischen Ansätzen sollte die interne Auseinandersetzung der ersten Zeit dominieren. Der kleinste gemeinsame Nenner war in der Jungfernausstellung gefunden. Malerei, Objekte, Fotografie, Christine Sick: die pragmatische Vermittlerin zwischen sehr verschiedenen Künstlerseelen...

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15.9.-22.9.84

Labyrinth

Rudolf Hoffmann

Environment

Hundert Meter schwarze Folie in Gänge aufgeteilt, drei Meter hoch, einen Meter breit, oben mit Folie abgedeckt. An Stahlseilen aufgehängt in der Halle auf elf mal vier Meter. Ein dunkles Labyrinth. Das Telefon klingelt im Büroraum, andere Seite, kein Schlüssel in der Tasche, eigentlich nur zwölf Meter. Das Labyrinth! Ich verlaufe mich. Komme zu spät. Keine Chance... Tastbegegnungen. Kölsch im Dunkeln in der Sackgasse. Feuerzeuge. Heimleuchter. Abrissparty am 22. September. Folienberge als Massenlager. Wieder freie Sicht auf die Alpen!



22.9.84

47 fünf vor 12

Gräbner, Hoffmann

Straßenaktion Geisselmarkt

Der Performance auf dem Geisselmarkt ging eine Aktion voraus und folgte eine. Am 21.9. grasten wir einen Rheinkilometer auf den Poller Wiesen ab und sammelten angeschwemmtem Plastikmüll. Da kam ‘ne Menge buntes Zeug zusammen. Elmar Jungherz hatte einen Aufkleber für Wasserflaschen entworfen, die wir mit Rheinwasser füllten. Der Aufkleber erinnerte irgendwie an jene Firma hundert Meter weiter. 47 fünf vor 12 – Echt Kölner Wasser – 100 % Rhein! Sektkelche voller 47 fünf vor 12 auf schwarzer Samtdecke, daneben das Flaschenangebot, alles umringt von schönen bunten Plastkteilchen aus dem Rhein: Eimer, Spielzeug, Chemiebehälter usw., dahinter eine große Reklamefolie im bekannten Design. Man prostete sich zu unter Gasmasken auf dem kleinen Platz, es regnete, kaum einer hielt. Gerade noch die Straßenbahninsassen äugten von der Haltestelle an der Venloer Straße herüber. Wat soll dat?

Portrait(s)

Anne Beyl, Inge Broska, Anne Jüssen, Maggie Kaiser, Anne Kieschnik

Performances

Die Zuschauer fühlen sich nicht eingeladen... Nur wenige trauen sich in den Raum... Keine Bühne ist da... Wäscheleine mit Windeln... Schlagzeug... brennender Kerzenkranz... ein Diaprojektor auf einem Stuhl... zwei Lautsprecherboxen auf grauem Boden. Herztöne aus den Boxen, Improvisation auf dem Schlagzeug, eine Frau in Rot und die Windeln auf der Leine, ein Text wird gelesen, Lichtbilder wandern durch den Raum, aus einem schwarzen aufgeplusterten Herzen quillt rotbrauner klumpiger Schaum, jemand sitzt am Tisch, wickelt sich Hände und Gesicht in weiße Binden ein. Das Licht geht aus.

Aloah - Alaaf!

Ingo Gräbner

Videohappening

Wie nutzt man die Vielfalt der Räume im Atelier Sömmering? Wie aktiviert man die Zuschauer? Aloah – Alaaf, eine Aktion, die das Rahmenmotto der Ehrenfelder Kulturtage wieder aufgriff: Ehrenfeld intim. Das Ladenlokal als Empfangsraum. Die Tür zum nächsten Raum öffnet sich für einen Besucher. Begrüßung als Zeremoniell durch mich, der Begrüßte übernimmt die Rolle des Begrüßers, ich entschwinde in den hintersten Raum. Hier in der Halle ist ein großer schwarzer Kubus eingebaut. Durch die Brandlöcher seiner Folienhaut läßt sich per Videoübertragung das weitere Begrüßungsgeschehen verfolgen. Bis der letzte Besucher begrüßt ist. Und dann noch diese mißlungene Striptease-Arie mit Jürgen Raap und mir...

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15.11.84

Plastikwald

Ingo Gräbner

Environment

Vom Rheinufer über den Geisselmarkt in das Atelier Sömmering: 120 Plastikteile, Strandgut von einem Rheinkilometer, aufgehängt an einem Gitter aus zweihundert Meter Nylonschnur unter dem Glasdach. Der Boden mit Herbstlaub auf schwarzem Untergrund: „Plastikwald“. Ich sitze hinten im Winkel des Raums auf einem Bierkasten vor einem Schachbrett mit aufgebautem Spiel. Ein leerer Kasten für den potentiellen Gastspieler. Leuchtstoffröhren tauchen die schwebenden bunten Plastikelemente von unten in ein kaltes Licht. Zieht man an einem Teil, geraten alle anderen auch in Schwingungen. Tibetanische Tempelklänge laden ein zu Spiel, Meditation und Kölsch.

23.11. – 7.12.84

Zugriffe

Stefan Mattes

Malerei

Mattes, junger Typ, alte Stuttgarter Malerschule, kommt aus Baden-Württemberg nach Köln ins deutsche Eldorado des Kunsthandels und holt den Pinsel hervor, stellt sich vor die leere Leinwand unter dem idealen diffusen Oberlicht der Halle – legt los. Tritt die möglichen elf Meter hinter die Stirnwand zurück, prüft die ersten Pinselstriche, schreitet wieder nach vorn, mixt neue Farbe auf dem rollbaren Maltisch, kringelt erneut auf die nicht mehr jungfräuliche Fläche (vielleicht ein bisschen Viallet?) und so weiter und so weiter... Will ganz groß rauskommen (ist ihm zumindest zeitweise auch gelungen), hat mit dem öffentlichen Charakter des Ateliers so seine liebe Not, lernt allerdings auf die Art einige Leute kennen in der fremden Stadt. Stefan hat dann die Konsequenzen irgendwann gezogen und ist seinen eigenen Weg gegangen. Weiterhin viel Glück!

20.12.84

Jesus intim

Gräbner, Hoffmann, Jungherz, Mattes, Sick u.a.

Theatralische Performance

Ein Parforceritt durchs Alte und Neue Testament bis in den Stall von Bethlehem. Absolute Verballhornung der Ereignisse! Volle Ausnutzung der vorhandenen Räumlichkeiten! In der Werkstatt (Eingang durch die Einfahrt) sitzt Christine Sick als Gottvater auf der Werkbank und wühlt aus einer Betonmischschüssel voller Erde einen kleinen Globus hervor: Erschaffung der Welt! An der Tür zum Hinterhaus empfängt Johannes der Täufer die Gäste und führt sie über die Treppe an der Ahnengalerie (Propheten) vorbei. Im ersten Stock wird er von Herodes enthauptet (das Publikum sieht nur das Ergebnis), der enthauptete Johannes weist den Weg in den zweiten Stock, wo Erzengel Gabriel durchs Dachfenster hereinschwebt und die Jungfrau Maria besucht (hinter einem Vorhang...). Im Ladenlokal Volkszählung, daneben Rotlichtviertel von Bethlehem und in der Halle springt aus der Riesenvulva an der Wand zu Frankie Sinatra Elmar und wirft Zigarren ins Volk...

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